Wir werden flexibel
GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, das in drei Immobilien in Mannheim und in Köln arbeitet, hat seit 2021 drei Projekte realisiert, die eine flexible Raumnutzung ermöglichen. Ausgangspunkt war eine Beratung durch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und -organisation (IAO) in Stuttgart.
Kernaussagen der Beratung
- Unterschiedliche Arbeitssituationen erfordern unterschiedliche Raumumgebungen.
- Wichtig sind insbesondere Orte,
- in denen man einzeln und ungestört arbeiten kann (also Einpersonenbüros),
- in denen man gut zusammenarbeiten kann (also Orte, an denen Besprechungen stattfinden) und
- Treffpunkte für ein zwangloses Zusammenkommen, idealerweise so attraktiv, dass es anregend ist, sich dort auszutauschen.
- Nicht sinnvoll sind in diesem Sinne etwa Besprechungsecken in Büros oder Zwei-Raum-Büros.
- Für die Umsetzung eines solchen Konzeptes müssen die Beschäftigten mobil arbeiten. Idealerweise sollte die fixe Raumzuordnung aufgehoben werden.
Die drei Projekte im Einzelnen
In Mannheim hat das Land Baden-Württemberg von 2019 bis 2021 in unmittelbarer Nähe der Universität für das Institut einen überwiegend durch den Bund finanzierten Neubau errichtet. GESIS hatte umfangreiches Mitspracherecht. Eingerichtet wurden neben den zu dem Zeitpunkt von den Beschäftigten noch ausdrücklich gewünschten, individuell zugeordneten Zellenbüros drei Flächen mit neuen Raumkonzepten:
- Für das individuelle ruhige Arbeiten wurde die Bibliothek mit Arbeitsplätzen ausgestattet, die allen Beschäftigten hier eine Rückzugsmöglichkeit geben. In der Bibliothek sind keine Gespräche erlaubt.
- Speziell für Kleingruppengespräche wurde eine 180 qm große Fläche eingerichtet, um ein entspanntes Brainstorming außerhalb steriler Büro- und Besprechungsraumatmosphäre zu ermöglichen. Die Grundannahme ist, dass mehrere Diskussionsgruppen sich bei gleichzeitigem Arbeiten, wie etwa in einem Café, nicht gegenseitig stören.
- Für eine hierfür offene Arbeitsgruppe wurde auf ebenfalls 180 qm eine mit der Gruppe abgestimmte Arbeitsfläche mit insgesamt zwölf Arbeitsplätzen, Rückzugs- und Besprechungsmöglichkeiten attraktiv eingerichtet. Auf der gleichen Fläche finden sich in anderen Etagen acht Zellenbüros.
- Außerdem wurden für Begegnungen Stehtische vor den Kaffeeküchen aufgestellt, eine attraktive Dachterrasse geschaffen sowie in den Besprechungsräumen Möglichkeiten für hybride Sitzungen. Diese waren zunächst vor allem gedacht für Besprechungen mit den Kölner GESIS-Beschäftigten, dann aber auch für Besprechungen mit den Kolleg:innen im Homeoffice.
In Köln wurden 2021 für die Unterbringung von Mitarbeitenden im Rahmen einer strategischen Erweiterung zwei neue Büroetagen angemietet, bei denen das Institut die Möglichkeit bekam, die Wände neu zu setzen. Die Büroetagen werden seit dem Frühjahr 2022 genutzt. Die mit den Leitungen der betroffenen Einheiten abgesprochene Raumaufteilung sah vor, dass es auf beiden Etagen einen zentralen attraktiven Ort der Begegnung verknüpft mit einer Küche geben soll; dazu vor allem kleine Einzelbüros als Rückzugsmöglichkeit und schalldichte „Telefonzellen“, in denen laut kommuniziert werden kann. Das auf den Etagen arbeitende Führungspersonal hat prioritären Zugriff auf ein Büro, alle übrigen Büros sind nicht zugeordnet. Für die persönliche Ablage wurden Schließfächer bereitgestellt.
In bereits angemieteten Räumlichkeiten in Köln wurden durch einen Wasserschaden im Frühjahr 2022 drei Büroflügel so zerstört, dass alle Wände herausgerissen werden mussten. GESIS ergriff die Gelegenheit, um, mit dem Vermieter zu vereinbaren, dass der Wiederaufbau der Wände in diesen Büroflügeln nicht wieder für Zellenbüros, sondern für eine flexible Nutzung vorgenommen wird. Grundannahme der Architektinnen und von GESIS war auch hier, dass es eine Concentration-, eine Collaboration- und eine Community-Zone geben soll. Eine fixe Zuordnung der Räume erfolgt auch hier nicht, für die persönlichen Dinge gibt es ebenfalls Schließfächer. Seit September 2023 nutzt die Belegschaft die sehr attraktiven neuen Räume.
Erkenntnisse aus drei Projekten
- Neue Raumnutzungskonzepte müssen zwingend mit neuen Raumkonzepten einhergehen, die im Regelfall bauliche Maßnahmen voraussetzen.
- Wichtig für die Akzeptanz und Corporate Identity ist eine ansprechende Gestaltung vor allem der Treffpunkte. Ohne Innenarchitekt:innen wird es kaum gehen. Denkbar ist es, unabhängige Innenarchitekt:innen zu beauftragen oder sie von den Architekt:innen des Auftragnehmers gestalten zu lassen. GESIS hat beide Variationen genutzt, sie haben Vor- und Nachteile. Unabhängige Innenarchitekt:innen sind eher teurer und anspruchsvoller in der Zusammenarbeit, gestalten aber auch origineller.
- Die technischen Voraussetzungen für mobiles Arbeiten (insbesondere bei IT und Telefon) müssen gegeben sein.
- Auch wenn es keine Zuordnung von Arbeitsplätzen zu Beschäftigten gibt, bedarf es doch aus folgenden Gründen einer Zuordnung von Flächen zu Organisationseinheiten:
- Es ergibt kommunikativ keinen Sinn, dass Beschäftigte, die sich nicht kennen, auf denselben Flächen arbeiten.
- Ohne eine solche Zuordnung findet man sich nicht mehr.
- Die jeweils zuständige Organisationseinheit muss die Regeln der Nutzung festlegen und einhalten.
- Im Ausnahmefall kann eine Organisationseinheit mit einer anderen Organisationseinheit den Tausch von Flächennutzungen an bestimmten Wochentagen vereinbaren, wenn beide Organisationseinheiten jeweils an einem anderen Tag vollständig im Büro sein wollen und dafür die jeweils zugewiesenen Flächen einzeln nicht ausreichen. Dies muss aber transparent für alle Beteiligten sein.
- Neue Raumnutzungskonzepte sind für die Beschäftigten zunächst anspruchsvoll und ihre Einführung sollte von daher gut vermittelt bzw. im Idealfall gemeinsam erarbeitet werden. Es muss für alle deutlich sein, dass es nicht vor allem darum geht, Großraumbüros zu schaffen und Kosten zu reduzieren. Im Erfolgsfall wird aber eine hohe Mitarbeitendenzufriedenheit erreicht.
Eine besondere Herausforderung ist die Verknüpfung des neuen Raumnutzungskonzeptes mit der nach dem Ende der Pandemie 2023 beibehaltenen Option, mobil zu arbeiten. Da die meisten Beschäftigten von GESIS nur 40 Prozent ihrer Arbeitszeit im Institut arbeiten müssen, ergeben sich nicht so viele Gelegenheiten für persönliche Treffen, wie dies insbesondere bei der Konzeption des Neubaus in Mannheim noch angenommen wurde. Deshalb ist es wichtig geworden, hybride Treffen an möglichst vielen Orten zu ermöglichen. Trotz des faktischen Rückgangs persönlicher Zusammenarbeit durch das mobile Arbeiten ist der Wunsch danach teilweise sogar eher noch stärker geworden.
Noch keine Erfahrungen hat GESIS mit der Nutzung einer Raumbuchungssoftware. Diese befindet sich noch im Einführungsstadium. Auch generell wird GESIS in den Projekten noch sehr viele Erfahrungen sammeln müssen, bis eine valide Analyse möglich sein wird. Dass der Weg aber insgesamt richtig ist, daran habe ich keinen Zweifel. Es wird in Zukunft vor allem darum gehen, wie wir ihn im Detail weitergehen werden.